Gespräch von PNB und Emmerich Hörmann am 19.6.04, vor einem Konzert in Zoglau3:

CW: Ja, wir hatten ja gerade schon so einen kleinen Einstieg gehabt, da habe ich geredet über Sequenza von Berio, dass ich das mal geübt habe mit der CD, also mit der Aufnahme, die Sopie Cherrier gemacht hat vom Ensemble Intercontemporain- und dann haben wir darüber geredet, dass es interessant ist, dass das für Jazzer eine relativ normale Verfahrensweise ist, mit einer CD zu arbeiten oder mit einer Platte, Sachen runterzuhören und auch mitzuspielen, wirklich zu versuchen, genau das zu imitieren, Mimikry-mässig. Für Klassiker ist das ein Tabu, weil die Interpretation dort etwas Heiliges oder Persönliches ist. Man geht immer wieder auf den Urtext zurück. Dann haben wir uns unterhalten darüber, dass sowohl CD als auch Partitur sind eigentlich eine Abbildung ist, das eine ein Vorbild, das andere eigentlich ein Nachbild, und was da der Unterschied ist.

EH: Erstmal liegt der Unterschied auf der Hand, dass die Partitur die optische Abbildung ist, in graphische Systeme übersetzt, die CD ist zwar gewisserweise auch ein graphisches System, aber nur für den CD-Player, das wird dann wieder umgesetzt in akustische Singnale für uns. Das fällt mir als erster Unterschied auf, aber man kann natürlich vom akustischen Bild sprechen, ein Bild muss ja nicht nur ein optisches sein, ein Bild hat immer den Aspekt des Abbildens, dann steckt aber im Bild natürlich auch die Hervorbringung, also das poetische Moment, das Bildnerische sozusagen.

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OS: Aber steckt im Bild nicht auch, wie soll ich das beschreiben, so was Statisches, Fixiertes, Gegenständliches? Das Spezielle an Musik ist ja unter anderem die Verknüpfung mit der Zeit, eine Flüchtigkeit. Unter einem Bild stellt man sich ja erstmal etwas vor, das eine gewisse Beständigkeit hat.

EH: Eine Partitur hat diese Beständigkeit und eine akustische Aufnahme hat ja auch diese Beständigkeit, du könntest ja auch statt Büchern lauter CD da stehen haben, es gibt ja auch solche CD-Sammlungen. Wenn der Tonträger nicht irgendwie kaputt geht, bleibt das bestehen. Das ist ja auch ein Widerspruch, das Immer-Wieder-Hören-Können von Musik ist eine alltägliche Erfahrung geworden, aber dem ursprünglichen Hören von Musik fremd. Als es die technischen Möglichkeiten der Aufnahme noch nicht gab, das muss man sich vorstellen, war das dann vorbei...

CW: Also, was ich so verrückt finde, das Reden über Musik funktioniert ja so, dass man so etwas versucht, eine Objektivierung von so einem Prozess. Egal, ob du die Partitur zur Hand nimmst uns sagst: "Schau mal hier, da steht das und das", also wirklich im Sinne von Gegenstand, "das steht dem entgegen, was du da gemacht hast". Oder man nimmt eine Aufnahme und sagt:"An der Stelle hast du das und das gemacht(gespielt)" Im Grunde genommen hält man diesen Prozess an, man friert ihn ein, das ist doch ein bisschen das, was du meinst mit "beständig" oder? Man friert ihn ein, um ihn dann wieder zu untersuchen. Um ihn zu begreifen, befingern, behandeln, wie auch immer man das nennt.

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EH: Das gibt es ja auch z.B. im Sprachlabor, wo man etwas nachspricht und dann immer wieder zurück, "wie spricht der native speaker?"...

CW: Eine richtige Imitation, ohne gross zu sagen, so und so funktioniert das...

EH: Sowas kann man im Jazz sicherlich auch machen, solange Charlie Parker imitieren, bis die Phrase fast identisch ist, wobei die Frage ist, ob das so sinnvoll ist.

OS: Die Entwicklung geht ja dahin, dass Dreizehnjährige Charlie Parker perfekt imitieren können,...

OS: Aber steckt im Bild nicht auch, wie soll ich das beschreiben, so was Statisches, Fixiertes, Gegenständliches? Das Spezielle an Musik ist ja unter anderem die Verknüpfung mit der Zeit, eine Flüchtigkeit. Unter einem Bild stellt man sich ja erstmal etwas vor, das eine gewisse Beständigkeit hat.

CW: Aber ist das in der Klassik so anders?

OS: Nein, aber im Jazz war das früher anders, der Jazz nimmt gerade einen seltsamen Weg über die Verschriftlichung zu einer der Kunstmusik ganz ähnlichen, rein interpretatorischen Aufführungspraxis. Das hat natürlich eine starke inhaltliche Verschiebung zu Folge.

EH: Ich glaube, im Jazz kommt noch ein anderer Aspekt zum tragen: Das Ikonenhafte in der Popkultur, in der der Jazz eine Wurzel hat. Dort gibt es ja einen ganz bestimmten Begriff von Unsterblichkeit, eben Pop-Ikonen bzw. im Jazz eben Jazz-Idole. Eine Form dieser Unsterblichkeit ist, dass ihre Musik ständig präsent ist. Dass man versucht, diesen Idolen nachzueifern, genauso zu spielen wie das Idol. Das ist im Klassischen wieder anders, diese ist von der bürgerlichen Bildungskultur sehr stark getragen, die zwar dabei ist sich aufzulösen, deren Reste aber noch immer z.B. in Salzburg zu bewundern sind... zurück

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CW: Aber da ist es doch auch so, da wird doch nur ganz strikt etwas weitergegeben, nur nicht medial. Charlie Parker ist halt nur 35 geworden und hat keinen Unterricht gegeben, deshalb fummelt man mit den Schallplatten rum. Aber es gibt (Jazz-)Kollegen, die bei David Liebman Unterricht hatten und dann mit einem Kopftuch hinkend die Bühne betreten haben, wo also bis zu körperlichen Gebrechen hin, Imitation erfolgt. Das hat mich regelrecht schockiert, als ich das gesehen habe. Das war fast eine Karikatur, was der Peter Weniger eine Zeitlang gemacht hat: er kam wirklich hinkend auf die Bühne, obwohl er völlig gesund war. Das fand ich so absurd, genauso wie Leute, die ein Becken suchen, das genauso klingt, wie das von Toni Williams auf der Plugged Nickel Schallplatte. Da gibt es teilweise eine Feedbackschleife, die ins Absurde geht. Andererseits, ich habe es vorhin schon erzählt, ich habe mal einen Film gesehen, wo eine russische Klavierlehrerin ihrem Schüler immer wieder dieselbe Kantilene vorgespielt hat, kommentarlos, er musste es einfach genauso spielen wie sie, wieder und wieder, einfach Imitation.

CLH: Das ist einfach eine andere Art zu lehren. Es ist was anderes, ob du was in Schriftform festhälst und verfügbar machst oder ob du etwas durch einen Meister oder Guru weitergibst. Da besteht ein wichtiger Unterschied.

OS: Das hat für mich zu tun mit der ursprünglich auralen Übermittlung der Jazzmusik einerseits und der Übermittlung via Schrift andererseits, bei welcher ein Transformationsvorgang immanent ist.

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CLH: Wenn man einen Tonträger nimmt, und nicht in eine von zwei Seiten beeinflusste Kommunikation tritt, mit dem Meister, dem Idol, hat man die schriftliche Tradition schon rechts überholt. Es geht um Verfügbarkeit, der andere (in Form des Tonträgers) steht uneingeschränkt zur Verfügung, man kann sich solange in ihn hineinversetzen, bis man glaubt, man habe ihn jetzt. Das ist etwas, was ich totlangweilig finde, wenn man merkt, das Interesse von Leuten besteht darin, herauszufinden: "wie mache ich das, wie wird das gemacht, wenn ich das weiss, nächstes".

EH: Also, was ich jetzt heraushöre, ist, dass die traditionelle Partitur, die schriftliche Fixierung im Vorhinein, mehr Freiheiten ermöglicht als von CDs nachzuspielen. Es gibt ja diese Mitspielplatten, Music minus One oder Aebersold, das mag ja gut sein, um im stillen Kämmerlein einen Standard draufzukriegen, wenn die Leute aber in der Fussgängerzone damit spielen, das finde ich wirklich grauenhaft.

CW: Was mich immer wundert, in der bildenden Kunst sind solche Dinge- "Automatisierung einer Ästhetik" würde ich das mal nennen oder "Verfügbarkeit einer Ästhetik plus Adaptierbarkeit"... übrigends ist Music minus One in der Klassik durchaus auch verbreitet. Ich habe mal einen Film gesehen, wo der Komponist Magnus Lindberg für den Posaunenvirtuosen Christian Lindberg ein Stück geschrieben hat, der hatte das komplett im Computer drin, alle Stimmen und die haben zusammen dran gerarbeitet, Christian Lindberg hat in ein Mikrophon die Posaunenstimme gespielt, hat Sachen ausprobiert, dann hat Magnus Lindberg das in den Sampler getan, dann haben sie daran herumgefummelt. Das sind Produktionsweisen wie in der Popmusik. Der hatten einen 36-Track-File auf und hat das produziert wie eben Zappa oder Madonna ihren Kram auch produzieren. Da war nichts mehr von Papier Stüblein und Radiergummi. Das kommt dann hinterher und das macht in der Regel jemand anders, der dafür bezahlt wird. Also, das hat sich alles unglaublich einander angenähert. Was ich faszinierend finde, ist die Frage: Was macht den grösseren Raum auf? Es gibt ja, das hat CL gerade gesagt, den Unterschied ob etwas vermittelt wird durch einen lebendigen Menschen, der das zu Verfügung stellt in Form von gesprochener Sprache und Verhalten- oder es wird etwas durch eine Schrift weitergetragen. Es gibt es eine alte Tradition der Kritik an dieser schriftlichen Übermittlung. Sokrates via Platon, Feidros ist es glaube ich, wo sie darüber reden, er sagt:"Die Schrift macht so, als würde sie etwas erzählen, sobald man sie aber angreift, muss sie nach ihrem Vater rufen, der sie verteidigt, weil sie sich selbst nicht verteidigen kann. Sie wird auch gelesen von Leuten, die sie gar nicht lesen sollen, die sie gar nicht verstehen können." Er postuliert ziemlich klar, dass Schrift eigentlich nur eine Gedächnisstütze ist, für denjenigen, der das gedacht hat. Dass die wirkliche Vermittlung des Gedankens nur im Dialog erfolgen kann.

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EH: Das ist ja auch diese Anamnesislehre, also die Wiedererinnerung an das, was Schrift sagt, kann nur dann erfolgen, wenn sie schon erfolgt ist, dieses Paradoxon. Oder, einen Gedanken kann ich nur dann verstehen, wenn ich ihn schonmal gedacht habe. Das trifft auf die Philosophie ja wirklich zu, man kann ja den Gedanken auch nicht sofort "erspringen", man muss ihn, durch Beschäftigung mit der Materie immer wiederholen, dann wird er einem so langsam klar. Das ist ein Übungsvorgang, wie in der Musik auch.

CW: Da gibt es grosse Ähnlichkeit, wenn man etwas das erste Mal vom Blatt spielt, versteht man ja auch überhaupt nicht, was man da tut.

EH: In der Philosopie gibt es ein Phänomen, was man als Überlieferung bezeichnet, das ist nichts Neues, das kennen wir auch in der Alltagssprache: Tradition-Überlieferung. Zu der Überlieferung gehört eben auch die Veränderung der Überlieferung. Ich finde, wenn eine Musiktradition/Überlieferung darauf aus ist, die Veränderung zu eliminieren, dann hat das nichts mehr mit Musik zu tun, wird ein rein technischer Reproduktionsvorgang. Es geht dann darum, die Kuh, die man gesehen hat und melken kann, unendlich zu melken und nicht mehr damit aufzuhören.

EH: Also, was ich jetzt heraushöre, ist, dass die traditionelle Partitur, die schriftliche Fixierung im Vorhinein, mehr Freiheiten ermöglicht als von CDs nachzuspielen. Es gibt ja diese Mitspielplatten, Music minus One oder Aebersold, das mag ja gut sein, um im stillen Kämmerlein einen Standard draufzukriegen, wenn die Leute aber in der Fussgängerzone damit spielen, das finde ich wirklich grauenhaft.

TL: Das ist der Grund, warum dann Konservatorien entstanden sind, da wird dann die Musik konserviert und so wie sie schwarz auf weiss geschrieben steht, immer wieder...

EH: Das sind dann auch Disziplinierungfunktionen, mit allen...

OS: Vielleicht ein Klonen?

EH: Also, das hiesse jetzt das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, ihr könnt ja auch alle Instrumente spielen und habt ja auch alle in euer Biographie...

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CW: Einen Aufentalt in einem Konservatorium hinter uns gebracht...

EH: Ohne das wird es ja auch sehr schnell dilettantisch, das ist dann auch ein Problem. Es gibt hier auf dem Land viele, die dann irgendwas machen, ich finde ohne diese Bemühung, ohne diese Anstrengung mal gemacht zu haben, das muss ja nicht auf akademischer Ebene sein, ohne üben würde ich sagen, kommst du nicht weiter. Damit meine ich jetzt keine reaktionäre Moral.

TL: Ich finde das Imitieren, das solange Nachspielen von einer Phrase, bis man die so gut drauf hat, dass man die besitzt quasi, dass man sagt: den hab ich jetzt, auch legal, eine gute Vorgehensweise, wenn man sich darüber klar ist, dass es zum Schulen, zum Trainieren ist.

CLH: Was schulst du denn da?

TL: Die Fähigkeit, andere zu verstehen, die Sprache des anderen zu verstehen, was er für eine musikalische Sprache benutzt. Die Gefahr ist die, dass man keine Distanz mehr irgendwann hat, dass man nur noch die Sprache von anderen reproduziert.

CLH: Ich habe das Gefühl, das führt immer zu so einer Situation wie wissen, dass man nämlich glaubt zu wissen, irgendwas zu wissen und dass man damit glaubt es zu kontrollieren. Ich finde das stellenweise auch interessant, das zu üben, aber ich finde es solange zu üben, bis man es wirklich drauf hat, finde ich vollkommen uninteressant. Damit wird der Versuch gemacht, etwas zu kontrollieren, etwas in der Hand zu haben. Mich interessiert es eher, das Nichtwissen auszuhalten. Natürlich tue ich es als Musiker, es gibt immer wieder Situationen, in denen ich was anhöre. Aber die besseren Situationen sind die, wo ich direkt denke, ich kann das direkt- und das spiele.

TL: Ja, aber dieses Gefühl, dieses Selbstbewusstsein, das muss man ja auch erstmal entwickeln. Das muss man ja erstmal schulen, dass du irgendwie erkennst, jemand anders hat schonmal so ein Selbstbewusstsein gehabt, irgendwie beschäftigst du dich ja mit Material, welches dir gefällt. Offensichtlich gibt es da jemanden, der schonmal so etwas rübergebracht hat, so dass du sagst: damit möchte ich mich auseinandersetzen. Der hat auch dieses Selbstbewusstsein gehabt, vielleicht mussst du die Phrase nicht hundertprozentig nachspielen, aber allein das du dich damit beschäftigst, so hier und da die Sachen mal auscheckst...

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EH: Aber es kommt ja nicht darauf an, in der Musik den Dingen nur hinterherzulaufen, im Idealfall kommt es darauf an, die Dinge zu verstehen. Das ist gar nicht immer möglich, aber manchmal ist es vielleicht doch möglich.

OS: Das, was du vorhin beschrieben hast, wie man sich einen Gedanken aneignet in der Philosopie, so verstehe ich auch das Üben von Musik. Üben ist für mich das Aneignen von Inhalten. Das Üben von technischen Fähigkeiten und Inhalten ist nicht zu trennen meiner Meinung nach.

EH: Das kann man auch nicht trennen, das sagt dir doch auch jeder Musikpädagoge, dass es ein Unsinn ist, nur technische Übungen zu machen. Das ist sehr begrenzt vielleicht möglich, dann würde ich aber gleich Krankengymnastik machen. Oder Feldenkrais oder Yoga oder Tai-Chi oder Alexandertechnik...

CW: Sozusagen, den Weg des Körpers gehen, direkt.

H: Absolut, das bringt oft mehr..., das erzählen ja Musiker auch allenthalben. Aber wenn du übst musst du dich gleich mit musikalischen Inhalten beschäftigen. Die Frage ist ja dann auch eine Lebensfrage: Wieviel Zeit habe ich im Leben, mich mit musikalischen Inhalten zu beschäftigen. Das ist aber glaube ich ein eigenes Thema, wenn man älter wird, hast du immer weniger Zeit, das ist eine ganz komische Geschichte. Die Zeit zum Üben, das wäre ja auch nochmal eine ganz andere Frage. Die richtige Zeit, es gibt ja sozusagen einmal eine Stunde am Tag, da geht was voran und dann geht wieder garnichts. Das ist ein anderes Thema, aber es betrifft glaube ich die Praxis als Musiker und die Gruppe, die zwischen Komposition und Improvisation steht, doch sehr. Das ist vielleicht nochmal eine andere Frage, die man an euch hat, das Gespräch würde ich dann betiteln: Die Innenansicht von Musik. Das fasziniert mich ja so an euch, dass ihr so bereit seit, diese Innenansicht zu geben. Über ein Phänomen wie Musik erfährt man nämlich sehr wenig. Das meiste, was geschrieben steht über Musik ist wenig erspriesslich, abesehen von einigen wenigen kompetenten Musiktheoretikern. Das ist dann einfach so was irgenwie impressionistisch Zusammengeschriebenes. Umgekehrt: die Musiker selber sind oft wie Handwerker, also garnicht bereit, über sich zu sprechen. Oder mehr das verschleiern, das ist dann auch irgenwie so eine Scham...

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CW: Das hat auch oft sehr triviale Gründe, das Verschleiern, es ist oft Geheimnisskrämerei oder Nebulöses, also Nebel verbreiten, um Dinge, die eigentlich relativ simpel sind. Also, das ist zum Beispiel etwas, das ich auch mal erlebt habe, was mich fasziniert hat im Umgang mit der Jazzidiomatik, das eigentlich immer alle sagen, auf Licks und Patterns, wie man das dann nennt, auf diese Muster, die etwas melodisch eindeutig als Jazz kenntlich machen und auch wichtig sind für die Sprache: "darauf kommt es nicht an". "Licks und Patterns üben, das musst du nicht machen, du musst das spielen, was du fühlst". Wenn du aber nüchtern auf diese Musik schaust, siehst du, dass es eine extrem idiomatische Musik ist und dass du nur reinkommst, wenn du das Idiom beherrschst. Es ist wie Vokabeln lernen und wie Wendungen lernen. In der englischen Sprache sind die Idioms ja die Möglichkeit, sich als kompetenter Sprecher zu identifizieren. Das ist im Jazz genauso. Für mich hat sich, auch a pro po Innensicht, noch eine interessante Frage ergeben, nämlich was du, Tom, mit Wissen benannt hast und du, Carl Ludwig, mit Verstehen. Wir haben geredet über Imitation und was es bedeutet, jemanden zu haben oder etwas zu haben, wie Carl Ludwig es formuliert hat: "Wissen", was ihn nicht interessiert. Tom hat so etwas formuliert wie: "wenn man jemanden imitiert, kann man seine Sprache erlernen und ihn dadurch verstehen".

TL: Zumindest kommt man dem dann nahe. Man kann ihn nicht wirklich verstehen, weil das nur eine Art der Äusserung ist. Man hört seine musikalische Äusserung, damit habe ich noch lange nicht den ganzen Mensch...

CW: Das ist klar, das ist nicht gemeint...

EH: Da würde ich im Detail gerne wissen, hast du so eine Erfahrung mal gemacht, eine Imitationserfahrung, kannst jetzt auf so eine Erfahrung zurückblicken...?

TL: Ja, die gibt es, die Erfahrung. Ich kann mich, je nachdem in welcher Band ich spiele, das habe ich früher gemacht, das mache ich in den letzten Jahren eigentlich gar nicht mehr, früher habe ich das oft gemacht, ich konnte mich in eine gewisse Spielsituation oder ein Spielgefühl, reintrainieren. Indem ich garnicht soviel geübt habe, sondern viel gehört habe, ein bisschen nachgespielt habe, dadurch kam ich in eine, wie soll ich sagen, gewisse Spielbereitschaft für eine Musikrichtung, das ist schon so zehn bis zwölf Jahre her, und es hat mich immer sehr irritiert, wenn ich in verschiedenen Bands dicht hintereinander gespielt habe, weil ich dann keine Chance hatte, mich in verschiedene Spielsituationen richtig reinzudenken, weil ich dann auch immer- das waren unterschiedliche Jazzformationen, das eine war eher Bebop, das andere war Hardbop, dann irgendwie so ein bisschen Bill Evans Ideologie/Harmonik...

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OS: Das ist doch aber nochmal was anderes, als der Versuch, sich jemanden über einen imitatorischen Vorgang anzueignen. Was du jetzt beschrieben hast, ist doch eher das Anpassen an eine musikalische Sprache, die eine Gruppe spricht...

TL: Ja, also vor allen Dingen bei Bill Evans, dem Pianisten, ging es mir so, da habe ich mich solange mit auseinandergesetzt, bis ich das Gefühl hatte, ich verstehe den als Menschen auch irgendwie, zum Teil zumindest. Ich verstehe auch seine Gequältheit und dass der so tragisch... ich habe richtig auch geweint dann mit dem, also ich habe geweint darüber, dass der so jämmerlich zugrunde gehen mussste.

EH: Das ist interessant, jetzt kriegt das doch noch mal eine andere Richtung, so wie du es schilderst. Es ist jetzt nicht mehr der Aspekt der technischen Imitation, sondern der Versuch nicht zu imitieren, sondern zu verstehen, das ist glaube ich nochmal ein Unterschied.

CW: Das ist die interessante Frage, das ist das was ich meine, Verstehen ist ja auch so ein ulkiger Begriff. Er heisst ja den eigenen... also ver ist ja sowas transitives... man verlagert sozusagen den eigenen Standpunkt, man stellt sich an die Stelle von jemand anders. Das könnte ja schon ein einfacher Prozess sein, möglicherweise. Im philosophischen Sektor ist es natürlich komplizierter, weil es nicht so eine mechanische Oberfläche gibt, die man imitieren kann. Man bewegt sich immer in Abstraktion, das Verstehen ist immer das Einnehmen eines Standpunktes. Deshalb habe ich auch vorhin das Beispiel von dem Peter Weniger erzählt, weil ich das so unglaublich fand, wie sehr der versucht hat, diesen Menschen David Liebman zu verstehen. Also sich wirklich an seine Stelle zu versetzen. Das ist ja auch ein Vorgang, der in der Schauspielerei unglaublich interessant ist.

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TL: Wird da bestimmt auch viel häufiger gemacht, als in der Musik, oder?

CW: Es gibt doch diese Story von Robert de Niro, der für diesen Polizeifilm, den er dann gemacht hat mit Sylvester Stallone, aufs Revier wollte, um da Studien zu betreiben. Dann hat er gesagt: "Haha, die Gesten kenne ich alle, das sind meine, die haben das aus dem Kino. Das kommt alles zurück auf mich, ich mache die nach und merke plötzlich, verdammt nochmal, das ist mein Stoff, das sind meine Patterns."

EH: Ja, das glaube ich sofort und umgekehrt gibt es natürlich diese Adaption von Schauspielern, die entweder wahnsinnig dick oder wahnsinnig dünn werden für eine Rolle... Aber in der Musik, denke ich, wenn wir nochmal ausgehen von dem Unterschied, der anfangs Ausganspunkt war, eine CD als Bild und eine Partitur als Bild: dann lässt die Partitur in gewisser Weise einfach mehr Freiheiten zu, du kannst nicht jede Spielanweisung festlegen, es gibt immer einfach noch Varianten und das ist ja auch gut so. In der klassischen Musik imitierst du vielleicht deshalb nicht einen anderen Musiker, weil du hast ja die Partitur. Es geht darum, diese zu verstehen, du musst da deinen eigenen Weg finden. Das finde ich eigentlich auch eine ganz legitime Geschichte, zu sagen es kommt nicht darauf an, so zu spielen wie Gulda oder weissgott wer, was ja oft aus rein physischen Gründen gar nicht möglich ist, es gibt einfach verschiedene Hände, du kannst einfach auch nicht alles, es gibt auch Begrenzungen. Es gibt dann immer wieder Leute die genial sind, aber es gibt auch Begrenzungen. Aber innerhalb der Begrenzungen gibt es auch wieder nur Möglichkeiten. Also, ohne diese Grenzen...

OS: Grenzen machen frei!

EH:...ohne die Widerständigkeit des Instruments wäre es überhaupt nicht schön, gäbe es keine Musik. Diese Grenze ist auch Bedingung.

TL: Genau, die Grenze öffnet Kanäle zu neueren...

EH: ...schafft Strukturen...

CW: Was mich wirklich nochmal interessiert, ist diese Idee der Schrift, der Niederlegung. Bei Cage gibt es in den Variations dieses witzige Moment, wo er einfach in eine Variation, die nur aus solchen Textzeilen besteht, da steht einfach: "a postriori score". Also, im Nachhinein Partitur oder wie immer man das auch übersetzt. Man denkt, Moment mal, ich habe doch hier eine Partitur vorliegen. Cage arbeitet ja gerne mit Koan-artigen Gedanken, obskurantistischen Mitteln. Das ist ein ganz faszinierendes Moment,(auch die berühmte Antwort auf die Frage an Cage: hörst du wirklich, was du aufschreibst und seine Antwort: Ich schreibe es auf, damit ich es höre)...

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OS: Wozu sich auch Herr Lachenmann im letzten Interview in der "Zeit" endlich bekannt hat...

CW: ... es heisst, die Schrift hat ein Eigenleben.

CLH: Ich würde die CD da auch mal vollkommen rausnehmen, weil ich finde, über eine Partitur so zu sprechen, interessiert mich auch, ich verstehe nur nicht, was die CD damit zu tun hat, weil die CD ist ja eigentlich nur der Versuch einer Dokumentation eines Augenblicks. Oder die CD kann der Versuch sein, ein Kunstwerk zu erstellen mittels des Mediums CD, das heisst also, nicht die Aufnahme eines Konzertes, auch nicht die Aufnahmen eines Lifekonzertes, sondern die Aufnahme einer Idealversion eines Stückes oder sogar noch weitergehend, so wie wir das auch mit der ersten PNB-CD gemacht haben, wo wir dann im Studio angefangen haben, nochmal drüber zu gehen...

OS: So, wie es in der Popmusik üblich ist...

CLH: Das ist Popmusik, genau. Aber wenn man jetzt...

CW: Es gibt wirklich dieses Werkzeughafte von einer CD, zum Beispiel Nono hat das gemacht mit Chorstücken, glaube ich, das waren Sachen, die waren nicht singbar, durch ihre Komplexität und dann hat er die einzeln einsingen lassen, damals im Multitrackverfahren. Dann haben die Sänger mit dieser Aufnahme geübt. Das heisst, die Aufnahme wird wiederum ein Tool- also eine Möglichkeit, Dinge zu realisieren, die über eine Partitur nicht bewältigbar sind.

CLH: Also, dann reden wir jetzt eigentlich ausschliesslich von solchen CDs, wenn du CD erwähnst. Die CD im klassischen Sinne, als Verkaufsdingens oder als Abbild oder Dokumentation im Vergleich zur Partitur, darauf will ich hinaus, der Vergleich hinkt ja im Prinzip, weil eine Partitur oder eben auch so eine übe-CD, ist ja ein Mittel nicht, um den ästhetischen Gedanken den anderen....hmm, erfahrbar zu machen, das ist natürlich schon...

CW: Das ist die normale CD nämlich auch, das ist das verflixte...

CLH: Es ist aber das Mittel, jemand anderes dazu zu bringen, eine Partitur meine ich, eine ästhetische Idee zu formulieren, mit den Mitteln der Musik und der Akustik.

CW: Aber für mich ist jede CD der Appell, etwas ähnlich zu machen oder zu denken...

EH: ...schafft Strukturen...

CLH: Zu denken oder zu machen, das ist ja ein Riesenunterschied...

CW: Möglicherweise, ich finde letztenendes ein Appell, etwas Ähnliches zu machen. So wie jedes philosphische Buch der Appell ist, selber zu denken, so ist für mich auch das Hinstellen von einem musikalischen...

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CLH: Was ist denn ein Buch für dich?...

CW: Auch eine Aufforderung zu dieser Art von Dialog.

CLH: Zu schreiben?

CW: Ja, ich bin dezidiert der Meinung, das abgesehen von Zynikern und Leuten, die schreiben, weil sie Konsumenten befriedigen möchten, dass letztenendes jedes Buch eine Aufforderung ist zu diesem Dialog. Eigentlich ist jedes Buch ein Brief.

CLH: Da habe ich jetzt ein Problem: Wenn du von einem Dialog redest, dann bedeutet das für mich zum Beispiel nicht, also wenn ich irgendein Buch lese, bedeutet für mich nicht die Aufforderung selber zu schreiben, sondern das ist für mich ein Angebot seitens dessen, der das Buch geschrieben hat, seine Gedankenwelt zu teilen und zwar in dem Sinne, dass ich das, was die Schnittmenge mit meiner Gedankenwelt ist, da wo es bei mir Anknüpfungspunkte gibt, dass ich da weiterdenke.

CW: Aber davon will der auch was erfahren. Der schreibt das nicht ins Leere hinein und sagt: "ich will nichts mit den Leuten zu tun haben, die das lesen".

CLH: Doch, das glaube ich eben schon.

CW: Nein, das wäre zynisch, das ist Konsalik.

CLH: Warte mal, ich glaube nicht dass er was dagegen hat oder sich nicht darüber freut, wenn sich jemand darauf bezieht. Aber wenn jemand etwas veröffentlicht, dann ist das ein Angebot...

CW: Ein Kommunikationsangebot...

OS: Wenn du, Carl Ludwig, jetzt eine Solo-CD veröffentlichst, mt deiner Musik, dann möchtest du doch auch möglichst viele Rückmeldungen haben...

CLH: Aber ich möchte nicht möglichst viele Solo-CDs geschickt bekommen, Entschuldigung...(lacht)

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CW: Das finde ich garnicht so lächerlich. Natürlich, die meisten Leute, an die du dich richtest- ist ja logisch- sollen nicht Tubisten sein, dann wären die Verkaufszahlen deiner CD wirklich streng limitiert. Es sollen ja auch andere Menschen, deren Medium nicht die Musik ist...

CLH: Das ist genau das...

EH: Also, ich kann es jetzt nicht nachvollziehen, dass ein Buch oder eine CD, jetzt reden wir mal von einem Buch, mit der (von Chris behaupteten) Intention geschrieben wird, dann müsste ja jeder Leser sofort antworten, wie beim Brief. Ich glaube, wenn ich einen Roman lese, dann hat das erstmal eine gewisse Abgeschlossenheit. Ich tauche in diese abgeschlossene Welt ein. Eine CD hat auch eine gewisse Abgeschlossenheit, in die ich eintauche. Der Entschluss, dann selber was zu machen, als Musiker oder als Schriftsteller, wie den Roman oder dieses Musikstück ist ein zweiter Schritt, der erfolgt aber nicht zwingend aus der Publikation der CD und des Buches. Natürlich, wenn ich jetzt sage, ich will schreiben, beziehe ich mich auf andere Bücher, wenn ich sage, ich will eine CD machen, beziehe ich mich auf andere Aufnahmen. Es ist aber nicht in der Intentionalität dieses Musikstück, welches da aufgenommen ist, sofort weiter....

CW: Ich rede auch nicht von sofort. Ich will keine Mechanik postulieren, das ist nicht der Punkt. Aber für mich ist es relativ klar, ich bin angeregt worden, Musik zu machen, durch Menschen, die ihre Musik veröffentlicht haben. Und ich bin auch der Meinung, dass das der Sinn der Veröffentlichung von Musik ist.

CLH: Mir ist das zu eng gefasst, ich glaube, der Punkt ist einfach der: Wenn du etwas veröffentlichst, ob es jetzt eine CD ist, ein besonders schlauer Gedanke, ein Buch oder irgendwas, dann machst du der öffentlichkeit etwas zugänglich. Damit versetzt du andere Leute in die Möglichkeit, ein Stück mit deinen Gedanken zu gehen um nicht zu sagen, deine Gedanken nachzuvollziehen...

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CW: Das mit Sicherheit nicht...

CLH: Natürlich ist es so, dass du, indem du andere Leute sich mit deinen Gedanken... lass mich ein anderes Wort versuchen, ... auseinanderzusetzen mit deiner Denkensweise..das ist für mich... da schliessen wir an dem wieder an, wo wir es von Imitation oder Verstehen hatten. Ich würde sogar soweit gehen, dass (das) Herausbringen eines bestimmten Romans sogar soweit geht, das es das Singnal ist an andere: Kuck mal, das brauchst du nicht unbedingt mehr zu schreiben, das habe nämlich ich gerade getan...

CW: Wie habe ich das getan? Letztendlich, ewiggültig?

CLH: Das ist genau die Frage...

CLH: Genau...

CW: Und der Appell, der da drin steckt, ist: ich möchte wissen, was ihr denkt, sonst bräuchte ich es nicht zu veröffentlichen. Für mich ist eine Veröffentlichung keine Archivierung, weil ich weiss, beispielsweise bei einer CD, ich habe jetzt das Thema Ensembleimprovisation final geklärt und lege das hiermit nieder, zur Archivierung im Kulturarchiv der Menschheit Europas. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist ein vorläufiges Ergebnis einer Arbeit und ich veröffentliche es eigentlich, um es, wie die lateinische übersetzung von "Veröffentlichung" lautet, um es zu "kommunizieren".

OS: Um es zu öffnen.

CW: Ja, um es zu vergemeinschaften...

CLH: Aber du veröffentlichst es ja in dem Moment, in dem du sagst, das hat jetzt eine Form, die ich rausgebe. Es ist auch nicht so, als würdest du irgendjemand davon erzählen: guck mal, und dann haben wir so und so gespielt und das war hochinteressant, wie würdest du das den machen? Das wäre wieder ein anderes Medium. Aber du sagst: Hier, o.k., das ist eine CD, das kann sich jetzt jeder anhören, das ist der Stand und indem du es rausbringst und indem du es auf eine CD tutst, sagst du das ist der Stand und das meine ich mit final oder damit zu sagen das ist jetzt dieses Ding, darüber habe ich jetzt mal eine Feststellung getroffen oder mich auch zumindist bis zu dem Erscheinungsdatum, da habe ich mich darauf festgelegt.

OS: Das ist dasselbe was Chris mit vorläufig meint, oder?

CLH: Ja, ja, eben, ich habe aber kein Problem, diese ganze Arie von wegen für immer oder so, interessiert mich nicht, das ist nicht das was ich mit festgelegt meine...

OS: Du meinst mit final das, was Chris mit vorläufig meint...

CLH: Das meine ich, genau...

CW: Ja, ja, das ist dasselbe, nur der Dissens besteht darüber, ob das eine Sache ist, die ich tue, um einen Dialog anzuregen oder ob das eine Sache ist, die ich tue um einen Inhalt abzuschliessen.

TL: Ich möchte da auch noch was dazu sagen: Chris, Carl Ludwig und Ole: Ihr veröffentlicht immer irgend was um Botschaften zu senden. Ich spiel auch gerne Musik einfach nur der Sinne wegen. Weil ich Lust an Sinneswahrnehmung habe. Sowohl meiner eigenen, als auch anderen Menschen einfach die Chance zu geben, dass die Sinne von denen angeregt werden und dass sie einfach Lust daran haben, einfach nur Freude am sinnlichen Wahrnehmen, am sinnlichen Erleben. Ohne dass ich irgendwas will, ich will manchmal garnichts. Ich will auch keine Antwort darauf haben, ich will einfach nur...oohh

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CLH:(kichert)

EH: mhh

TL: Das reicht mir manchmal. Darum stellt sich das dir manchmal so dar, Emmerich, das hast du vorgestern erwähnt, dass Chris eben auch soviel redet, weil er analysiert auch unheimlich viel und ... Carl Ludwig ist oftmals ein Gegenpol, darum reden die beiden auch immer sehr stark, argumentieren gegeneinander, manchmal fruchtbar, manchmal furchtbar. Aber...es ist immer sehr analytisch, sehr...ich schätze das auch, ich analysiere auch gerne, aber manchmal hätte ich... Also jetzt, bei dieser Diskussion zum Beispiel, geht mir... also ich mach eine CD nicht nur um Botschaften zu senden.

CW: Also, ich sende keine Botschaften...

TL: Ja, weil du das eben so sagtest: Das ist das Ergebnis einer Arbeit, ein vorläufiges Endergebnis einer musikalischen Arbeit...

OS: So, wie ich das verstehe, umschliesst das schon auch das, was du vielleicht meinst, ist das jetzt ein Postulat dafür, dass wir uns jetzt nicht mehr unterhalten sollen?

TL: Nein, ich habe nur manchmal den Eindruck, dass Musik oder auch Kunst oder Literatur einfach nur ein Fest der Sinnenfreude ist, wo auch die Sinne einfach nur angeregt werden wollen. Letztenendes kann man noch soviel analysieren....manchmal versteht man es einfach nicht. Manchmal soll man es vielleicht auch garnicht bis zum Schluss verstehen.

CW: Bestimmt, ja...

OS: Darüber kann man auch reden?

TL: Darüber kann man natürlich dann auch reden. Ich wollte nicht, dass du das jetzt so negativ siehst. Dass ihr zu analytisch alles auseinander pflückt- ich schätze das auch sehr- das wollte ich jetzt nochmal anbringen...

EH: Wir müssten nochmal zurückkommen auf das Verhältnis von Partitur und CD und vielleicht kann man die CD auchmal weglassen. Die ursprüngliche Frage bei euerm Ensemble ist ja das Verhältnis von Komposition und Improvisation. Das ist die zentrale Frage, um die es kreist. Und die CD selber würde ich da jetzt nicht als wesentlich sehen. So eine CD, das ist klar, das tut man, man macht eine Aufnahme und wenn die Aufnahme schön ist, dann publiziert man sie halt. Das muss nicht problematisiert werden.

TL: Das ist ein Schnappschuss...

EH: Bei der Komposition und Improvisation finde ich, ist das Verhältnis schon tiefer, weil man müsste dann fragen, was ist eigentlich der Zweck der Musik. Die Komposition ist ja im Gegensatz zur CD erstmal ganz was anderes als Musik, sie klingt ja nicht. Während die CD-Aufnahme manchmal zu sehr daran klebt. Die Komposition hat gegenüber der CD-Aufnahme den Vorteil, dass sie Strukturen sichtbar macht...

CLH: Entschuldigung, du redest von Partitur und nicht von Komposition, oder?

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EH: Partitur, ja, ich gehe jetzt mal davon aus, dass jede Komposition sich in irgendeiner Form in einer Partitur manifestiert. Es gibt eine Gedankenkomposition vielleicht, aber wenn du es niederschreibst...

OS: Das ist dasselbe was Chris mit vorläufig meint, oder?

CLH: Eine Improvisation ist auch eine Komposition...

EH: Auf ad-hoc Kompositionen komme ich gleich, jetzt gehe ich erstmal vom Geschriebenen aus, dem Konzept, welches ich schriftlich festhalte, seien es die fünf Notenlinien oder wie auch immer, was halt irgenwie schriftlich festgehalten wird. Das zeichnet sich ja erstmal dadurch aus, dass es nicht mit Klängen sondern mit graphischen Zeichen erfolgt, mit musikfremden Zeichen. übrigens, wie die Sprachzeichen, die Buchstaben auch fremd sind, da gibt es ja diese Rede von der Aribitrarität, der Zufälligkeit der Zeichen, also das Wort Baum hat nichts mit dem wirklichen Baum zu tun, es ist eine beliebige Anhäufung von Lauten oder Graphemen oder wie auch immer. Die haben keine Wesensverwandschaft, genauso hat die (geschriebene) Note A nichts mit dem Klang zu tun, das ist ganz klar...

TL: Stellvertreter, Platzhalter...

EH: Platzhalter des Systems. Aber diese Ferne zu der Musik hat einen Vorteil: dass man schnell die Strukturen begreifen kann, einerseits begreifen, also ex post aber auch Strukturen entwerfen. Strukturen entwerfen hat ja wiederum den Sinn, Repititionen und Improvisationen zu umgehen. Da haben wir ja auch schon gestern drüber gesprochen: Welche Funktion hat denn die Komposition eigentlich, wenn sie so wahnsinnig umständlich ist? Also, ich habe auch mal Musik studiert, aber zum Komponieren bin ich nie vorgedrungen. Mir kommt das immer noch ungeheuer schwierig vor. Das ist jetzt mein Problem, was ich damit habe. Die Leute, die das können, wie Mozart in der Kutsche, diese heroischen Geschichten, das nötigt schon eine gewisse Bewunderung bei mir ab: das wirklich so gut im Ohr zu haben und niederzuschreiben. Man weiss aber auch, dass das Komponieren immer schwieriger geworden ist. Man sieht das ja auch daran, dass Haydn und Mozart noch Riesengeschichten geschrieben haben, dann wurde es schon weniger und der Prozess wurde immer zäher. Jetzt sind es doch zähe Prozesse, das Komponieren. Ich kenne keinen Komponisten, der sagt es geht leicht. Es gibt höchstens wiederum die Arrangeure...

CW: Und Andrew Lloyd Webber...

CLH: Und Anthony Braxton(lacht)...

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CW: Da geht es mit einem System. Wenn ich ein System habe, geht es leicht.

EH: Bei Mozart gab es das System ja auch...

CW: Ja, eben...

EH: Das ist ja im System, im klassischen System. Aber in der Musik der Moderne, es gibt ja diesen Klappentext von Adorno: Es ist zur Selbstverständlichkeit geworden, dass nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist. Das trifft ja für die Musik ganz klar zu. Und das macht ja auch damit aus: die Spaltung zwischen E- und Populärmusik. Die E-Musik entwickelt sich immer weiter weg, ein absolutes Minderheitenprogramm, ein Bruchteil von einem Prozent wollen diese Musik überhaupt hören, das ist ja auch bedenklich. Selbst in der Praxis jedes Musikers ist es so, dass ein Teil der ..... mit Populärmusik ausgefüllt wird. Also, es wäre auch mal eine gute Frage: Befriedigt die Avantgardemusik vollständig? Jetzt habe ich gerade gehört, im Deutschlandfunk, als ich nach Simbach gefahren bin, in der Sendung "Klassik,Pop etc.", da kommen immer Musiker, richtige Profis und stellen ein Programm zusammen. Eine klassische Sängerin, ich habe ihren Namen vergessen, hat erst eine eigene Aufnahme von Schumann vorgestellt und dann einen Phil-Collins-Song. Dazu hat sie gesagt: "Wenn ich mal die Schnauze voll habe mit Klassik"... Das ist auch eine Haltung, die kann man auch haben. Die entspricht ja wirklich auch der Realität. Also, ich weiss nicht, wie das bei euch ist, hört ihr auch was anderes als ihr selber spielt?

OS: Ich nicht, ich höre, wenn ich die Schnauze voll habe, gerne nichts.

CLH: Ich habe das leider auch viel, dann geht es mir ganz bitter so, dass ich so im Radio...können wir mal kurz auf Stop drücken?...es gibt dann so Situationen, dass ich im Auto mal Radio höre, also wirklich so ein Kackradio und dann immer nur so ein Song suche wie "Skin on Skin" von Sahrah Conners, also wirklich das Billigste vom Billigen, oder es gibt dann auch gute Dinge, also ich habe auch Geschmack, ich kann auch mit Geschmack kontern...

CW: Du bist ja auch Fachmann...

CLH:...Ich weiss auch, wenn ich solche Dinger höre, die darf ich mir auf keinen Fall besorgen, weil dann höre ich die zwei Mal und dann finde ich die wiederlich. Genauso ging es mir mal mit dem "Just another magic monday" von diesen Bangles, fand ich auch immer super, wenn die Mädels dann singen. Dann hatte ich dummerweise das mal auf Platte, die habe ich sofort weggeschmissen oder verschenkt. Das wollte ich dann nie wieder hören...

CW: Die Fremde ist ein schöner Ort, kaum ist man da, dann ist sie fort...

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CL: Entschuldigung, ich möchte bei der Gelegenheit auch etwas einbringen: Was mich in letzter Zeit ziemlich fasziniert hat, ich lese gerade dieses Buch über den Ullysses, dort wird beschrieben, dass James Joyce sich sehr mit der Frage der Affinität und der Affinität in der Kunst befasst hat. Ich glaube, was bei Popmusik stattfindet und was mich nicht mehr so reizt- früher hat es mich extrem gereizt- ist, dass es eine Form ist, die auf der Basis der Affinität funktioniert. Das heisst letztenendes ist die Frage: Hat sie Sex? Sie spricht in dir ein Bedürfnis nach Erotik an oder nach Befriedigung gewisser Gefühle. Und Kunst hat man zu der Zeit von James Joyce, sehr stark davon unterschieden, (in dem Sinne,) dass sie einen eher in die Lage versetzt, sich in der Erkenntniss weiterzuentwickeln. Da fiel dann auch das Wort: kinetische Kunst, für Erotik im weitesten Sinne, Pornovideos... Ganz eindeutig: Popmusik per se ist eine kinetische Kunst. Und sie wird auch so gemacht: Diese Leute sitzen ja genauso lang an einem Song, wie andere Leute an einer Komposition für Orchester. Das muss man ja mal sehen. Die hauen ja nicht so einen zweieinhalb Minutensong raus, den sie an einem Nachmittag gemacht haben, der Normalfall ist, dieses Ding wird über Monate produziert, so eine Platte. Und die wird so lange gehört, bis die Leute(die sie produzieren) das Gefühl haben, so, jetzt kitzelt es ein Optimum... hier so... unterhalb des Bauchnabels...

CW: Wenn das Thema Popmusik reinkommt, finde ich nochmal ganz klar diesen Unterschied...was du mal umschrieben hast mit: Forschung statt Ästhetisierung. Es gibt, und das betrifft vielleicht auch das, was du gesagt hast, Emmerich, von dieser Auseinanderbewegung... in der Popmusik wird das Spiel mit Konnotation in einer Art und Weise verfeinert, die schon gespenstisch ist. Es sind ja jetzt schon einzelne Sounds konnotiert, also siehe z.B. fududelodiho von Peter Gabriel, wo du ganz klar weisst, niemand mehr kann diesen Sound benutzen, das war, glaube ich, ein Preset-Sound vom DX 7, den konnte keiner mehr anfassen, diesen Sound, das konntest du vergessen, der war belegt. Das war ein klassisches Beispiel für eine verbrauchte Idee. Wahrscheinlich aber, könntest du in irgendeinem Avantgarde-Kontext diesen Sound unglaublich gut verwenden, weil da ganz viele Leute sitzen, die heimlich Peter Gabriel hören, auf dem Klo sozusagen... Möglicherweise könnte man ein ganz interessantes Spiel damit betreiben, das ist ja dieser Mechanismus, der ja in allen Kunstformen gemacht wird: Duchamps, der eine Reproduktion der Mona Lisa mit einem Schnurrbart versieht... Der Transfer zwischen der populären Ebene und der trivialen... der E-, der U-, der Kunst-, der Gebrauchsmusik, der wird immer unkontrollierter, immer vielfältiger. Diese Bereiche verschwimmen ja auch sehr weitgehend.

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CW: Das ist die Frage nach der Oberfläche. Für mich ist z.B. ein Komponist wie Matthias Pintscher ein Popmusiker. Er sieht aus wie ein Popstar, hat so gegelte Haare, geile Klamotten, der ist gut drauf, der ist jung, der ist hip, der ist reich. Im Grunde genommen, macht der mit Webern, Berg, Strawinsky, Schostakovich, Lachenmann das, was Tricky mit John Lennon, Beasty Boys und Sex Pistols macht. Kompilieren. Die Oberflächen werden genommen, werden in neue Kontexte gesetzt, neu kombiniert. Das ist auch so ein postmodernes Ding.

TL: New Dance Mix...

CW: Ja, eben, so ein Mix. Was ja in der bildenden Kunst auch mittlerweile total angesagt ist. Einfach Dinge kompilieren... Olaf Nicolai z.B., der gibt ein Buch raus, da hat er kein einziges Wort selbst geschrieben, der lässt halt machen...er hat bei Mario Botta, einem Stararchitekten, Bienenhäuser in Auftrag gegeben, die wurden geplant und dann gebaut von einer Firma, die auf den Bau von Bienenhäuser spezialisiert ist. Der Nicolai hat die Dinger bei der Eröffnung zum ersten Mal gesehen, sich erfreut angeschaut, das war seine Kunst.

OS: In dem Zusammenhang finde ich auch Heiner Goebbels ein interessantes Beispiel, wobei ich glaube, dass bei so jemanden wie Pintscher genau dass stattfindet, was du eben beschrieben hast, es wird aber verschleiert. Die Pose des genialischen, authentischen Komponisten, der durch den Wald spaziert und dem die Sinfonie einfällt, die er zu Hause dann nur noch aufschreibt, die wird ja beibehalten, während Goebbels, der ja auch aus dem U-Kontext kommt, das ganz offen handhabt, auch thematisiert.

TL: Das ist Teil der Verschleierung, über die wir am Anfang gesprochen haben, wieder die Attitüde der Genialen über etwas legen, was man eigentlich recht einfach zusammengesteckt hat...

CW: Bei Riehm z.B. kann man es dann teilweise noch sehen, wie er sich selbst kompiliert, weil das noch zu Zeiten des Photokopierers war. Er hat dann Sachen ausgeschnitten aus anderen Stücken und da rein geklebt. Was ja absolut legitim ist, also auch das Kopieren von anderem Material ist absolut legitim, da gibt es überhaupt nichts gegen zu sagen. Für meinen Geschmack, im Vergleich zur bildenden Kunst, wo das ganz klar immer thematisiert wird, neigt die Welt der Musik immer... und das hat was zu tun mit deiner Verblüffung, Emmerich, darüber, dass wir so aneinander rumreden... es gibt in der Musik eine ganz klare Tradition der Esoterik...

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OS: Des Schweigens...

CW:... also des Sich Verschliessens gegenüber dem Dialog, oft aus sehr trivialen Gründen.

EH: Es gibt handwerkliche Gründe, wie ja oft Handwerker sozusagen "aufs Maul gefallen sind", es gibt da nur ein "learning by doing", also Meister-Schüler Verhältnis, mit allen Macht-Beziehungen, die sowas dann auch beinhaltet. Dann natürlich auch der Genie-Kult in dem die Musik sicherlich immer noch zu Hause ist. In der Popmusik eben auch...

OS: Da wird ja auch künstlich erzeugt, siehe Madonna, die ja ganz bewusst mit diesen Themen wiederum spielerisch umgeht...

EH: Natürlich gibt es dann auch Meta-Ebenen, das Ironisieren... im Jazz gibt es das natürlich auch, die Giants of Jazz und in der Klassik natürlich auch. In der Klassik auf fast museale Weise, das ist teilweise schon abenteuerlich...

CW: Auch mit einer richtigen Mythologie. Ich habe mal ein Gespräch mitangehört zwischen zwei Musikern, in dem es darum ging, dass ein gemeinsamer Kollege ein Vorspiel hatte bei Aturo Benedetto Michelangeli. Der habe den Kollegen, nach monatelangem Antichambrieren, nur in die Küche vorgelassen. Dort musste er das, was er vorspielen wollte, auf dem Küchentisch vorspielen. Michelangeli habe dann gesagt, ihm gefiele die Interpretation sehr gut, aber der Anschlag sei nicht gut. Abgesehen davon, dass das wahrscheinlich ein totaler Schmäh ist, erzählt das unglaublich viel über das sado-masochistische Weltbild dieser Leute.

EH: Jelinek, Klavierspielerin...

CW: Eben, das ist Jelinek- Klavierspielerin pur: Quäle mich, verachte mich, missachte mich, misshandle mich und dann schick mich weg...

OS: Da wird ja auch künstlich erzeugt, siehe Madonna, die ja ganz bewusst mit diesen Themen wiederum spielerisch umgeht...

OS: Bei Thomas Bernhard ist ja die Musik auch immer ein Folter-Trauma Thema...zu dem Handwerklichen fällt mir noch die schöne Geschichte ein von Naftule Brandwein, einem jüdischen Klezmer-Klarinettisten, der immer mit dem Rücken zum Publikum gespielt hat, weil er fürchtete, dass seine Konkurrenten ihm Wendungen und Grifftechnik stehlen könnten...

CW: ...Paul Tafanel hatte eine Handstütze für die Querflöte, an der er angeblich einen kleinen Resonanzkörper hatte. Er hat dieses Ding immer erst rausgeholt, wenn er anfing zu spielen, damit man nicht sehen konnte, was das ist...

CLH:...Heutzutage sieht das Hilfmittel so aus(geht zum Laptop)

CW:...Das illegale Hilfsmittel, ja...dann macht man auf, dann lässt man sich bläulich beleuchten und tut so, als würde man etwas anderes machen als eine CD ablaufen lassen...

EH: Da gibt es ja immer die Vermutungen, gerade bei diesen riesigen Popkonzerten...

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TL: Wollte ich gerade sagen, habe ich kürzlich gehört, von Peter Gabriel, das Paris-Konzert, vor zwei Jahren aufgenommen, da gibt es jetzt eine DVD, die wird jetzt verkauft und die habe ich auch gekauft. Eine Freundin von mir, die war da, die hat das gesehen und hat hinterher auch in den Kabinen mit denen gesprochen und so...die Musiker waren zum Teil schon vorher ziemlich angeschickert, also auch Tony Levine und wie sie alle heissen. Immer wenn live irgendwas nicht richtig funktionierte, da gibt es immer Tontechniker, die sind immer mit dem Playback, die schieben dann immer so rein. Die Drummer haben immer einen Klick, damit timingmässig immer alles supersauber ist und immer wenn z.B. ein Chor jetzt nicht so gut kommt, weil er jetzt doch nicht rechtzeitig am Mikro ist oder weil... aus welchen Gründen auch immer, wird immer voll Playback reingeschoben. Also auch bei so grossen Events und das wird dann richtig als live verkauft, die Fans fahren voll ab...

OS: Das ist doch schon lange so...

TL:...man kann davon ausgehen, dass fünfzig Prozent, vielleicht sogar mehr, einfach Playback ist.

OS: Sich darüber zu empören, finde ich vollkommen unsinnig, das ist doch sozusagen das Wesen dieser Musik...

CW: They asked for it and they got it...ich weiss doch noch, wie das früher war, man ist vom Yes Konzert gekommen, "oooah, das war genau wie auf der Platte, die haben das genau wie auf der Platte gespielt" und man dachte immer: "hey Freunde..."(allgemeines Gelächter)... im Ernst, man merkt, wie die Leute schlucken, wenn dann richtige Live-Musiker, wie Prince, wenn die wirklich an den Songs drehen, wenn es wirklich dann ein richtig anderer Song ist. Dann geraten die Leute in tierischen Stress, sie erkennen es nicht am Intro...

CLH: Was auch so eine Unverschämtheit ist, ist Songs zu spielen, die noch nicht veröffenlicht sind...

CW: Das ist frech...da kaufen die Leute ja praktisch die Katze im Sack, kenn isch net, kauf isch net...

OS: Ich habe ein bisschen Hunger...

CW: Wie spät ist es denn...

CLH: Also was ist denn jetzt eigentlich mit der Partitur? Da war ein Thema...

EH: Das ist ja das zentrale Thema...

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TL: Ich habe die ganze Zeit etwas auf der Seele, was ich sagen wollte dazu, das möchte ich gerne noch loswerden: Wie du ja vorhin schon gesagt hast Emmerich, es ist schon merkwürdig, dass man die Sprache von einer Sinneswahrnehmung festhält in einer anderen...Form, man benutzt eine Graphik, um Hörbares festzuhalten, es ist immer eine Art übersetzung. Diese Vorlage quasi, birgt ja in sich dann immer auch eine interpretatorische, oder sogar improvisatorische, Freiheit. Ich glaube, in der Klassik ist es deswegen so verpönt, sich von CD eine Fassung draufzuschaffen, weil man sich ja dann auch dieser Interpretationsmöglichkeit nicht stellt. Es ist so, wie wenn ich die übersetzung eines Buches nochmal übersetze.

OS: Sehr gut, deutsch-deutsche Übersetzungen...

CW: Es gibt eine schöne Geschichte, die habe ich mal in einem Programmheft gelesen. Da stand ein Gedicht, das beginnt: "Stille herrscht im Pavillon aus Jade..." angeblich ein japanisches Gedicht. Irgendjemand wollte das in einen Gedichtband japanischer Lyrik packen und hat dann recherchiert, wo dieses Gedicht herkommt. Er hat dann festgestellt, es ist aus dem Englischen übersetzt, dann hat er die englische übersetzung ausfindig gemacht, dann hat er das angebliche japanische Orginal ausfindig gemacht und dann hat er festgestellt, dass es eine übersetzung war von Goethe: "über allen Wipfeln ist Ruh..." das Gedicht klingt völlig japanisch, weil es...

OS: Stille Post...

TL: Genau, ich habe jetzt kürzlich auch ein Buch über Haikus gekauft, wo ich auch dachte...das ist aus dem Englischen übersetzt, aber japanische Haikus, da dachte ich auch: was liest du hier eigentlich? Dann habe ich es nach zwei, drei Haikus erstmal zugemacht, es liegt jetzt erstmal...

OS: Hat Goethe auch Haikus geschrieben?

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CW: Das ist frech...da kaufen die Leute ja praktisch die Katze im Sack, kenn isch net, kauf isch net...

EH: Das wäre mal interessant, einen Text immer weiter übersetzen zu lassen, was da ankommt...

TL: Also, dass eine Partitur, um das ganz kurz zu beenden, eine Art Blaupause ist, eine Blaupause von dem Stück, die genauen Einzelheiten muss der Musiker selbst entscheiden...

EH: Meine zweite Frage wäre: Welche Rolle spielt denn die Komposition im Verhältnis zur Partitur, könnte man die Improvisation sogar als ad-hoc-Komposition bezeichnen?

CW: Das ist eine Frage der Terminologie, natürlich ist eine Improvisation, sobald sie Dinge "zusammenstellt", eine Komposition. Im traditionellen Sprachgebrauch benutzt man die Begriffe "Improvisation" und "Komposition" als eine Gegenüberstellung von einem musikalischen Vorgang, der auf der einen Seite geplant ist und auf der anderen Seite nicht geplant ist. Also auf der improvisatorischen- der nichtvorhergesehenen Seite- sind keine Entscheidungen im Vorhinein gefällt worden. Auf der anderen- der kompositorischen- Seite geht man wirklich von einer Art Planung aus. Das begegnet sich in der Mitte, ganz klar, bei solchen Sachen wie Variations von Cage, bei ganz viel Material aus den sechziger Jahren begegnen sich diese Bereiche...

EH: Also nochmal, ich würde mich sehr sträuben gegen diese Imitationsüberlegungen, im Sinne eines Verstehens o.k., im Sinne einer reinen Imitation ist es wirklich ein Unding. Selbst beim Sprechen ist es so, jedes Gespräch ist eine Improvisation. Jede Klangerzeugung ist Improvisation, weil ich den Klang ja vorher nicht höre. Dann bewege ich meine Stimmbänder oder ich klatsche in die Hände oder ich benutze das Instrument und es kommt wirklich etwas, was ich nicht unter Kontrolle habe, im eigentlichen Sinne, natürlich kann ich üben und so- aber der eigentliche Moment der Klangerzeugung bedeutet ein Ausser-Kontrolle-Lassen, ein Entlassen des Klanges. Diesen Klang vorweg zu bestimmen, würde dem Wesen und dem Charakter von Musik eigentlich direkt wiedersprechen...

CLH: von Improvisierter Musik...

EH: von Musik überhaupt...bei komponierter, in einer Partitur festgehaltener Musik habe ich ja auch das Problem oder sagen wir die "Aufgabe" Klänge zu erzeugen. Und je improvisierter diese Klänge sind, desto besser bin ich als Musiker, würde ich sagen. Je mehr mich diese Klänge überraschen, je überraschender sind...

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CLH: Das finde ich gut ausgedrückt...

CW: Das gilt für die klassische Interpretation auch...

EH:...wenn ich wirklich diesen Klang, als Klang, noch höre und nicht einfach nur mechanisch diese Bewegung mache, die ich eintrainiert habe, und darauf kommt es ja an...

CLH: Da gilt, finde ich, aber für die Improvisation eben dann auch wieder sogar... mit der eintrainierten Geste. Das ist genau so ein Punkt, mit dem ich überhaupt nicht zufrieden bin, wie das gesellschaftlich angesehen ist und ich mich auch nochmal hier jetzt ein bisschen einkrampfe, weil ich nämlich das nochmal reingeben will: Was mich an Improvisation interessiert- oder wo ich glaube, was eben ein Unterschied ist zu einer vorher aufgeschriebenen Musik oder einer Eingrenzung- oder was ein Qualitätsmerkmal sein kann von einer Improvisation ist: dass, und das knüpft auch an die Diskussion von gestern an (über "was ist gute Musik"), dass es nämlich irgendwie darauf ankommt, einen Prozess zu zeigen. Und dass eine gute Improvisation, glaube ich auch, immer einschliesst, wie man musikalisch zeigt, wie man einen Moment... wie man mit einem Moment umgegangen ist und zwar auf eine... ich nehme das Wort "durchlässig" gerade sehr gerne... dass man sozusagen Durchlässigkeit...heisst jetzt kommt das gute Gefühl, jetzt kommt das schlechte Gefühl... es macht nichts, es spielt keine Rolle, ich improvisiere, das ist das, was ich tue. Deswegen kommt dann wieder der Punkt: das ist, was es ist... Zusammenfassend: Also irgendwie, dass die Improvisation dieses Abbild von dem Prozess ist und dass die Komposition- oder das Aufführen einer Komposition- das Abbilden eines vorher stattgefundenen Prozesses ist, in den immer wieder das Element der überarbeitung zum Beispiel einfliesst... man kann ja auch total... improvisatorisch komponieren...

CW: Das gilt aber für die Improvisation genauso: Du hast ganz viele Dinge, die du nicht tust in dem Moment. Und es gibt sogar- in der Improvisierten Musik extrem- richtige Don’ts. Das, was man nicht darf. Da ist die Komposition teilweise viel freier, spontaner und weniger determiniert als die Improvisation.

CLH: Ja,ja, aber davon habe ich nicht gesprochen...

CW: Doch, du hast gesprochen von einer vorher Gefasstheit...

CLH: o.k., dann habe ich das nicht gemeint. Was ich gemeint habe, ist das, was es nicht gibt, was du in der Improvisation tust, was du rückgängig machen kannst. In der Komposition gibt es Sachen, du kannst was hinschreiben, du kannst es dir durchlesen und sagen: nee...Und dann schreibst du es anders hin...

CW: Das würden sehr viele Komponisten anders sehen, die würden sagen: in dem Moment, da du es hingeschrieben hast, kannst du es nicht mehr aus der Welt schaffen...

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CLH: Das ist eine Entscheidung...

OS: Feldman hat darüber ganze Abhandlungen geschrieben...

CLH: Das ist trotzdem der wichtige Punkt, der wichtige Punkt ist, dass er (der Komponist) die Freiheit der Entscheidung dazu hat, das macht den Unterschied aus.

CW: Nein, der hat ja zum Beispiel...

OS: Die hat der Improvisator auch, die Freiheit der Entscheidung...

CLH: Nein, wenn du dein F gespielt hast, ist es da...

CW: Und wenn du das F einmal hingeschrieben hast, kannst du es zwar wegradieren, aber die Tatsache, dass du es geschrieben hast, ist ein Fakt...

CLH: Davon redet ja kein Mensch...

EH: Aber kein kompositorischer Fakt...

CW: Das ist ein kompositorischer Fakt, aber ganz klar...

CLH: Jetzt wirds esoterisch...

EH: Du kannst es ja wegschmeissen, aber der Klang ist in der Welt... das ist jetzt eine gute Frage, weil, natürlich, alles was ich tue, ist in der Welt. Auch eine Komposition die ich wegschmeisse, ist gewisserweise in die Welt gekommen...aber es ist doch ein Unterschied, ich meine, ob ich jetzt...ich sag mal... du kannst jetzt auch irgendwie Töne von dir geben, ganz uneigentlich... ich glaube, das ist eine Frage, die haben wir auch noch garnicht geklärt: Was heisst denn eigentlich Musikmachen und was heisst einfach nur... was ist denn der Unterschied...

CW: Zwischen Musikmachen und Rumdödeln?

EH: Ja, tatsächlich...

CW: Ganz wichtige Frage!

EH: Welche Form von Anspannung und Konzentriertheit, die ja eine Ursituation von Musik ist, eine Ursituation...

CW: Ökologie von Musik...

EH: ...heute Abend, ihr sitzt da, das Publikum ist angespannt, die Musiker sind angespannt, das braucht man ja auch...

TL: Das sind so Riten...

EH:...das ist ja eine total interessante Situation. Wahrscheinlich deshalb ist man Musiker, weil diese Situation so total lebendig ist. Aber warum eigentlich? Man könnte auch sagen, das gibt es ja auch, also ich mache das ganz beiläufig...

CW: Es gibt ja auch Leute, die das so machen, auch im Konzert. Also Christian Wolff zum Beispiel, der hat seine Sachen so gespielt, hat sich verspielt, hat gegrinst, hat gesagt: Nee und nochmal angefangen. Das war sehr interessant.

CLH: Das ist nicht gerade unser Ding.

EH: Eure ist eigentlich die Standardsituation...

CW: Für mich ist eine wirklich ganz fragwürdige Unterscheidung zwischen Improvisation und Komposition, die der angeblichen Determiniertheit und der angeblich zensierten Form von Komposition gegenüber Improvisation. Dieses Ausradieren, dieses Verwerfen, dieses sich selbst Zensieren, das Determiniertsein durch die eigene Vorgeschichte, hat jeder Improvisator. Und jeder Improvisator denkt Dinge, die er dann nicht spielt. Das wirst du mir bestätigen, Carl Ludwig, du entscheidest dich gegen Dinge, die du im Kopf schon aufgeschrieben hast...

CLH: Aber du lässt eine Ebene aus, meiner Ansicht nach. Da hast du vollkommen Recht, da kann ich überhaupt nichts gegen sagen. Ich bin auch der Letzte, der behauptet, dass eine Improvisation weniger determiniert ist als irgendeine Komposition. Aber das, was erklingt, ist etwas, was genau so erklingt, wie es in diesem Moment entsteht. Es ist der Prozess, der erklingt. Wenn du eine Komposition schreibst, ob du dich jetzt dafür entscheidest, dass du nie etwas korrigierst oder nicht, ist eine Entscheidung die du fällen kannst. Aber es ist letztenendes sozusagen die oberste Entscheidung auf der Vorbestimmtheitsskala. Und du entscheidest als Komponist, was gebe ich in den Prozess rein.

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OS: Das machst du als Improvisator auch...

CLH: Aber das ist doch präkonzipiert...

CW: Als Improvisator meinst du jetzt?

CLH: Nein, als Komponist bist du einer, der zum Beispiel die Möglichkeit hat, eine Idee in ein Ensemble reinzugeben...

OS: Hast du als Improvisator auch...

CLH: Nein, wenn du dein F gespielt hast, ist es da...

CLH:... die einen Anfang und ein Ende hat. Das kannst du als Improvisator nicht.

CW: Natürlich, wenn du das möchtest...

CLH: Lass uns sofort eine Improvisation machen, wo du den Anfang und das Ende festlegst.

CW: Das kann ich ganz einfach machen, indem ich nicht mit dir spiele, sondern allein spiele.

CLH: Dann improvisierst du nicht.

OS: Das ist ja interessant...

CW: Das finde ich abgefahren...

CLH: Oder, natürlich, du improvisierst, o.k., lass uns probieren...

CW: Ich alleine Ludwig, ich alleine...du nicht.

CLH: Deswegen sind auch Soloimprovisationen ein speziell zu behandeldes Gebiet.

An dieser Stelle ist leider die Aufnahmekapazität einer handelsüblichen Minidisk erschöpft, ich möchte aber noch folgende Aussage aus der Erinnerung hinzufügen:

OS: Wenn man in einer Gruppe komponiert, was ja das Pendant zu einer Gruppenimprovisation wäre, kann man Anfang und Ende auch nicht festlegen- wenn man Pech hat komponiert der Kollege eben noch was davor oder hintendran.

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